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Hier ist der Lothar König, JG-Stadtmitte, Jena, Pfarrer, der mit der Hausdurchsuchung und der kriminellen Vereinigung, Paragraf 129. Jetzt aber  bin ich nur noch angeklagt wegen schwerem aufwieglerischen Landfriedensbruch, Paragraf 125. Wobei, 125 ist auch nicht zu verachten, der geht immerhin bis zehn Jahre. Eigentlich ist mir das zu viel, weil, na ja, in DDR-Zeiten haben wir bis maximal drei Jahren gerechnet. Das kann man absitzen, dachten wir, damals in der DDR. Ich soll was zu „links“ schreiben, was das heute heißen könnte.

Das aber weiß ich auch nicht so genau. Ich stell mir darunter immer etwas vor, das besser ist als rechts. Warum? Na ja, die Linken sind mir, wenn es darauf ankommt, doch lieber als die Rechten. Vielleicht, weil sie weniger Mist gebaut haben als die anderen. So kommt es mir vor. Die Rechten sind ja zumeist die Herrschenden oder, wie man heute sagt, die Regierenden. Also die Reichen, die Mächtigen. Und da soll man immer machen, was die sagen. So habe ich das kennengelernt, schon in der Schule, damals in den 60er-Jahren.

Und dann kamen die Stones, und auch die Beatles, Janis Joplin, Hendrix, Cream … Hey, da war was los. Die haben das einfach nicht mehr in den Griff bekommen, die Lehrer nicht und auch nicht die Polizei. Was haben die mit uns alles angestellt: Haare abschneiden, Jeans verbieten, in die FDJ eintreten. „Freie Deutsche Jugend“ hieß das, aber das hat niemand geglaubt. Frei waren wir in der Musik. Das hat Spaß gemacht, was für eine Energie, so eine richtige Lebensfreude. Ich war 15 und alles lag vor mir. Ich höre heute noch die Stones. Wobei, glaube ich, so richtig links sind die Stones auch nicht, vielleicht ein bisschen..

Ich komme ja vom Dorf. Da gab es Kühe, Schweine, Pferde und so. Alles Mögliche, nur Linke gab es nicht. Am Dorfrand vielleicht ein paar alte Sozis, aber die hatten es schwer. Ich glaube, die haben es immer schwer, weil, na ja, die gehören nirgendwo so richtig hin, hat mein Opa immer gesagt. Und dann gab es noch die Partei, die, die immer recht hat. Doch das haben nicht einmal die Genossen geglaubt. Aber einer muss uns ja regieren, das ist nun einmal so, sagte mein anderer Opa. Der wollte lieber den Kaiser wieder. Ich aber wollte weder das eine noch das andere, und dass es immer so bleiben muss, wie es ist, hat mich auch nicht überzeugt.

Irgendwann habe ich niemandem mehr geglaubt. Und dann bin ich zur Kirche gegangen, wollte Jugendarbeit lernen. Da haben wir Marx gelesen und Dutschke, Trotzki und all so Zeug und ab und zu auch die Bibel, Dorothee Sölle und die Befreiungstheologen. Das war ein ziemliches Wirrwarr, und ich hab auch nicht alles verstanden. Aber es war wahnsinnig interessant und spannend. Und dieser Jesus kam ins Spiel, wir waren ja in einer kirchlichen Ausbildung. Ich glaube, da habe ich das erste Mal was von „links“ mitgekriegt.

Jesus. Was für eine faszinierende, widerspenstige, selig arm anziehende Gestalt. Ecce Homo. Ein Mensch. Ein Menschenkind. Gottes Sohn. Was denn sonst. Ein Unruhestifter, ein Unangepasster. Ein Gottesleugner. Ein Staatsverbrecher. Ein Jude. Von den Herrschenden angeklagt. Von der Menge verachtet. Von Freunden verlassen. Den Söldnern ausgeliefert. Ans Kreuz geschlagen. Fertiggemacht. Ein Verlierer. So macht man das. Wie denn sonst?

Und dieser Jesus soll leben, soll auferstanden sein? Was für ein Blödsinn, hab ich gedacht. Erst nach und nach hat es bei mir gedämmert. Da meldet sich einer zu Wort, der nicht unterzukriegen ist. Da gibt es neben der herrschenden Geschichte noch eine ganz andere. Eine Geschichte voller Musik, voller Freiheit, von unendlichen Wäldern voller Sehnsucht und sonnengelbem Strand. Und der Himmel geht auf und leuchtet wie Unendlichkeit. Und denen, die im Finstern wandeln, scheint ein großes Licht.

Der Grundschlag der Bibel heißt Freiheit. So fängt es an, als ein paar Verrückte meinen, Sklaverei sei nicht in Ordnung. Und sie sagen es auch noch laut. Und weil sie keiner hören will, hauen sie ab, lassen die Knechtschaft hinter sich. So steht es jedenfalls in der Bibel im ersten Gebot: Ich bin der HERR, dein Gott, der dich aus Ägyptenland, aus der Sklaverei geführt hat. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Und dann dieser Jude. Wenn es nach ihm geht, werden die Mächtigen von den Thronen gestürzt. Und er will ein Feuer anzünden auf Erden; am liebsten ist es ihm, wenn es schon brennte.

Ich denke ja, dass dieser Jesus nach heutigen Maßstäben ein Linksextremist ist. Und die Kirche ist dann eine terroristische Vereinigung, jedenfalls staatstragend sind beide nicht.

Was für ein Leben. Wie das in den Herzen brennt. Hey, was da losgeht. Und nur noch dieser eine Gott der Freiheit und keine anderen Herren mehr als nur dieser Eine, den sie gekreuzigt haben. Und Recht fließt wie Wasser und Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach. Und keine Angst ist mehr, vor nichts und niemandem. Nur noch Musik. Und eine tiefe Sehnsucht.

Wenn das links ist, dann will ich das so verstehen. Im Jahr des Herrn 2012.

Lothar König, Rolling Stone, Ausgabe 208, Februar 2012