JG Logo

Dieser Redebeitrag wurde am 09. September 2018 bei einer Gedenkveranstaltung zum Todestag von Enver Şimşek von den Jusos Jena gehalten.

Liebe Mitmenschen,

vor achtzehn Jahren begann eine grausame und rassistisch motivierte Mordserie. Weil die Täter*innen, der nationalsozialistische Untergrund, Menschen mit Migrationshintergrund verachteten und diese aus Deutschland vertreiben wollten, versuchten sie mittels Gewalt und Terror den Staat und die Menschen, die sie hassten, in Angst zu versetzen und zu vertreiben.

Enver Şimşek wurde am 09. September 2000 in Nürnberg vom NSU ermordet. Darum stehen wir heute gemeinsam hier, um ihm zu Gedenken. Wir wollen ihm und den anderen Opfern des NSU Respekt erweisen. All den Angehörigen und den Hinterbliebenen wollen wir zeigen, dass sie nicht alleine sind. Wir stehen hier aus antirassistischer Überzeugung. Wir stellen uns solidarisch gegen jede Form von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Wir vergeben nicht. Wir vergessen nicht.

Die Ermordung eines Familienmitglieds hinterlässt Trauer und Angst. Adile Şimşek, die Witwe, konnte die Angst, dass ihren beiden Kindern Semiya und Abdulkerim dasselbe wiederfährt nie loswerden. Semiya und Kerim waren noch jung als ihnen ihr Vater genommen wurde. Damit wurde ihnen gewissermaßen ihre Jugend genommen. Die Morde löschten nicht nur Menschenleben aus. Sie straften auch die Hinterbliebenen mit lebenslangen Kummer. Doch nicht nur das machte die Situation für die Hinterbliebenen unerträglich. Es ist bekannt, dass es eine Menge an Ermittlungsfehlern bei der Polizei und beim Verfassungsschutz gab. Dies bedeutet nicht nur, dass weitere Morde unter Umständen hätten verhindert werden können. Das bedeutet auch, dass die Belastung für die Hinterbliebenen noch größer wurde. Adile Şimşek wurde von den Ermittlern gezielt belogen. Man zeigte ihr ein Foto einer fremden Frau und behauptete ihr Ehemann hätte sie mit dieser betrogen und noch eine zweite Familie. Das war ein Bluff, eine Lüge. Um das Vertrauen einer Witwe in ihren ermordeten Ehemann zu zerstören und sie zum sprechen zu bringen. Noch perfider ist es, dass Adile Şimşek nichts zum sprechen hatte. Die Polizei ermittelte schlichtweg in die falsche Richtung. Sie wollten Enver Şimşek zu einem Drogenhändler, einem Verbrecher machen, doch er war nie einer. Jeder weitere Mord durch den NSU ließ die Opfer immer wieder erneut sterben. Die Theorie es handele sich um eine organisierte Kriminalität einer türkischen Verbrechensorganisation wurde aufgezogen. Die Familien wurden überwacht. Semiya beschreibt es mit ihren Worten, dass sie elf Jahre lang nicht einmal reinen Gewissens Opfer sein durfte. Wir fordern daher eine lückenlose Aufklärung. Alle rechten Strukturen, Mittäter*innenschaften und Ermittlungsfehler müssen dringend notwendig aufgeklärt werden. Das verlangt nicht nur der Respekt gegenüber den Opfern und Hinterbliebenen, sondern auch der zukünftige Schutz aller Menschen, die nicht in ein nationalsozialistisches Weltbild passen.

Der NSU hat seine Wurzeln in Jena. Daher liegt es in der Verantwortung aller Menschen dieser Stadt die junge Erinnerungskultur für die Opfer des NSU weiter zu entwickeln. Dadurch wollen wir Grundlagen schaffen, die derartigen Verbrechen und Gedankengut, wie es den NSU antrieb, keine Basis mehr finden lassen.

Die Gefahr von rechts wird immer größer. Rechte sitzen in den Parlamenten. Schauen wir auf die Straßen von Städten wie z.B. Chemnitz sehen wir, dass Menschen mit Migrationshintergrund auf offener Straße gejagt werden und der Hitlergruß wird nach und nach gesellschaftsfähiger. Politiker*innen in führenden Positionen, auch eigentlich demokratischer Parteien, und Verfassungsschützer*innen leugnen dies und ebenen dadurch den Idealen, welche den NSU zu Morden motivieren, den Weg in die Gesellschaft und in die Politik. Gerade deshalb müssen wir erinnern was vor 18 Jahren geschah. Wir können nichts ungeschehen machen, aber wir können und werden dafür kämpfen, dass rechte und nationalsozialistische Ideale nicht noch mehr Menschenleben kosten. Wir werden aus unserer Überzeugung heraus gegen Rassismus, Faschismus und Nationalsozialismus kämpfen, wir wollen all dem keinen Millimeter Platz auf dieser Welt lassen.

Darum stehen wir hier zusammen. Gemeinsam und solidarisch kann sich die Zivilgesellschaft stark gegen rechts machen.

Enver Şimşek wäre heute 56 Jahre alt. Er war ein Mensch, ein Ehemann, ein Vater, ein Bruder, ein Freund. Wir werden niemals vergessen was ihm, seinen Hinterbliebenen und allen anderen Opfern und Betroffenen der Taten des NSU angetan wurde. Und wir werden es niemals vergeben.

Ich bitte Euch um eine Schweigeminute für Enver Şimşek.