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Dieser Redebeitrag wurde am 19. Januar 2019 bei einer Gedenkveranstaltung zum Anschlag in der Kölner Probsteigasse von den Jusos Jena gehalten.

Kurz vor Weihnachten im Jahr 2000, betritt ein Mann ein Lebensmittelgeschäft in der Kölner Probsteigasse, das von einer deutsch-iranischen Familie betrieben wird. Der Mann trägt einen Korb bei sich, in diesem befindet sich eine weihnachtlich gestaltete Stollendose. Der Mann legt einige Waren in den Korb, dann sagt er habe seine Geldbörse vergessen und käme gleich wieder. Den Korb lässt er zurück. Der Mann kommt nicht wieder, also verstaut der Inhaber des Geschäftes den Korb in einem Nebenraum.
Rund vier Wochen später, am 19.Januar 2001, heute vor 17 Jahren, öffnet die damals 19-jährige Tochter des Inhabers die Dose. Sie möchte herauszufinden, was sich daran befindet. Die Dose explodiert. Sämtliche Scheiben zerbersten, die Decke des Nebenraums bricht herunter, Teile der Wände werden abgesprengt. Die junge Frau wird dabei schwer im Gesicht und an einer Hand verletzt. Gutachter kommen später zu dem Ergebnis, dass es nur eine Verkettung glücklicher Umstände in der Anordnung des Raumes gewesen ist, der sie ihr Leben verdankt und durch die keine Passanten auf der Straße verletzt worden sind.
Dass der Laden von einer deutsch-iranischen Familie betrieben wurde, war auf den ersten Blick nicht erkennbar. Auf dem Ladenschild stand „Lebensmittel Getränkeshop Gerd Simon“. Die neonazistischen Täter wussten, dass er von Migranten geführt wurde. Und sie konnten es nur wissen, weil sie ortskundige Hilfe bei der Planung und Durchführung ihrer Tat hatten.
Damals galten der Polizei ein Racheakt aus dem Rotlicht-Milieu, finanzielle Schwierigkeiten mit einem türkischen Bauunternehmer oder eine mögliche Vergeltung des iranischen Geheimdienstes als möglich. Im Juni 2001 stellt die Kölner Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein, im Januar 2006 lässt sie alle Tatortspuren zerstören. Verjährt war die Tat damals noch nicht. Das wir heute wissen, das die Tat vom NSU verübt worden ist, liegt nur daran, dass die Stollendose 2011 im Bekennervideo der Neonazis auftauchte.
Zwei Drittel des NSU-Kerntrios sind tot und können nicht zur Rechenschaft gezogen werden, eine verbüßt ihre Haftstrafe. Der Fall ist damit aber nicht abgeschlossen. Kurz nach dem Anschlag ist durch die Polizei ein Phantombild, basierend auf den Angaben des Geschäftsinhabers erstellt worden. Dieses Phantombild aber hat keine Ähnlichkeit mit den beiden Männern des NSU-Kerntrios. Nicht auch nur die geringste. Eine frappierende Ähnlichkeit hat das Bild hingegen mit jemand anderem. Und aufgefallen ist das ausgerechnet dem nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz. Der teilt kurz nach Erstellung des Phantombilds, dem polizeilichen Staatsschutz in Köln mit, das Bild ähnele einem Kölner Neonazi und V-Mann. Besagten V-Mann hat das Bundeskriminalamt in seinen Ermittlungen zum NSU nie befragen wollen, ebenso wenig die Generalbundesanwaltschaft, ebenso wenig das Münchener Oberlandesgericht.
Der Anschlag in der Kölner Probsteigasse steht exemplarisch für die mangelhafte Aufklärung des NSU-Komplexes. Es steht der Verdacht der Verwicklung eines V-Manns im Raum, ebenso soll der Verfassungsschutz Akten dazu vernichtet haben, die Polizei hat in fragwürdige Richtungen ermittelt und im NSU-Prozess waren Generalbundesanwaltschaft und das Münchener Oberlandesgericht eher bemüht, irgendeinen Abschluss zu erreichen, als die Wahrheit lückenlos zu ermitteln. Wir erneuern deswegen unsere Forderung. Der NSU-Komplex muss restlos aufgeklärt werden! Verantwortliche aus der rechten Szene, dem Verfassungsschutz und Ermittlungsbehörden müssen zur Verantwortung gezogen werden. Das sind wir den Opfern, ihren Familien und den Betroffenen schuldig.