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Seit Februar 2020 sind mehr und mehr Vorfälle sexualisierter und sexueller Gewalt in der linken Szene Thüringens bekannt geworden. Wir kennen die Outcalls aus Gotha, Jena, Saalfeld und Erfurt.

Viel zu spät beziehen wir als JG Stadtmitte dazu Stellung.

Wir danken den betroffenen Menschen, für ihren Mut, sich öffentlich zu äußern. Vielen Dank, dass Ihr die Kraft aufgebracht habt, Erlebtes zu teilen und auch strukturelle Probleme öffentlich zu machen. Eure Erfahrungen zeigen exemplarisch, wie mangelhaft und wichtig die Beschäftigung mit Sexismus und patriarchaler Gewalt innerhalb der linken Szene ist. Wir sollten nicht überrascht sein, aber wir sind entsetzt, dass diese Problematik so präsent und allgegenwärtig ist.

Hiermit solidarisieren wir uns mit den von sexualisierter und sexueller Gewalt betroffenen Menschen, die sich in den Outcalls geäußert haben. Wir stellen uns klar auf Eure Seite.

Wo und wie auch immer wir produktiver Teil von Aufarbeitungsprozessen sein können oder Euch unterstützen können: Wendet Euch gerne an uns. Wir haben Eure Forderungen gelesen und bemühen uns, diese zu erfüllen. Das bedeutet als erste praktische Konsequenz: Die bekannt gewordenen Täter sind in der JG nicht erwünscht. Sie sind von der Inforunde, dem offenen Café, Veranstaltungen und Konzerten, das heißt allem, was in und mit der JG stattfindet, ausgeschlossen.

Wir dulden kein täterschützendes Verhalten. Täterschützende Personen und Strukturen sind ebenfalls ausgeschlossen.

Unsere Solidarität versprechen wir auch allen anderen von sexualisierter und sexueller Gewalt betroffenen Menschen. Ihr könnt jederzeit die FLINTA* Gruppe (Glossar), die Mitarbeiter*innen oder Euch vertraute Personen aus der JG ansprechen. Wir werden Euch Gehör schenken und Eure Bedürfnisse ernst nehmen. Wenn Ihr eine niedrigschwelligere Form des Kontakts sucht, erreicht Ihr uns auch per Mail unter unterstuetzung[at]jg-stadtmitte.de [unseren öffentlichen PGP-Schlüssel (Glossar) findet sich hier]

Unsere Unterstützung wollen wir an Euren Wünschen und Bedürfnissen orientieren.

Wir können Täter in unseren eigenen Gruppen konfrontieren und von diesen eine kritische Aufarbeitung fordern und begleiten. Ihr könnt uns gerne ansprechen, wenn Ihr Einzelpersonen aus der JG für Unterstützer*innen Gruppen gewinnen wollt. Ebenso könnt Ihr unsere Räumlichkeiten gerne für solche Treffen nutzen.

Solltet Ihr Euch eine andere oder weitere Formen der Unterstützung wünschen, werden wir uns nach Kräften bemühen, dem gerecht zu werden.

Diese Positionierung kommt viel zu spät

Bereits im August 2020, als der Jenaer Outcall öffentlich wurde, hätten wir aktiv werden müssen, um darauf zu reagieren, da sich der Vorfall in der linken Szene Jenas ereignet hat. Der Täter war höchstwahrscheinlich bereits auf Konzerten und Veranstaltungen der JG, womit wir einen Bezug zu den Geschehnissen haben. 

Dann wurde im September 2020 der Outcall aus Saalfeld veröffentlicht, wo mehrere Vorfälle sexualisierter und sexueller Gewalt bekannt gemacht wurden. 

Schließlich besuchten Personen aus Saalfeld, darunter ein Täter und täterschützende Personen im März 2021 die von der JG veranstaltete Graffiti-Jam „Sprühling“ am Lommerweg in Jena. Obwohl wir aus dem Umfeld einer betroffenen Person darauf hingewiesen wurden, haben wir nicht reagiert. Spätestens im Nachgang hierzu hätten wir uns im Rahmen einer kritischen Aufarbeitung der Geschehnisse positionieren müssen.

Sobald bekannt war, dass es mögliche Bezüge von Tätern der Outcalls zur JG gibt, hätten wir uns an die U-Gruppen wenden müssen, zumindest um Informationen über die Täter zu erhalten, zum Zweck des möglichst sicheren Gestaltens unserer Räume.

Doch wir haben uns weder an die U-Gruppen gewandt, noch positioniert. Damit haben wir uns gegen die betroffenen Menschen gestellt.

Unser zwischenmenschliches und politisches Versagen macht uns wütend und enttäuscht.

Wir sehen unsere Fehler und wollen uns ihnen stellen. In diesem Text versuchen wir daraus Konsequenzen zu formulieren. 

Was sind die Gründe dafür, dass wir uns so lange nicht positioniert haben?

Wir haben uns intensiv damit beschäftigt, was die Problematiken in der JG sind, die zu unserem falschen Schweigen geführt haben.

Das für uns entscheidende Problem wird an der Schwerpunktsetzung unserer Arbeit deutlich: Wir haben die Auseinandersetzung mit den Outcalls und sexueller und sexualisierter Gewalt nicht als Priorität gesetzt. 

Unter anderem daran zeigt sich, dass in der JG das Bewusstsein fehlt, dass Antifaschismus immer feministisch sein muss. Es fehlt uns auch die Wahrnehmung dafür, wie das eigene Verhalten unsere Mitmenschen und deren Wohlbefinden beeinflusst. So hat sich leider bisher kein feministischer Konsens in der Inforunde (Glossar) etabliert. Insbesondere FLINTA* Personen mussten und müssen häufig hart um die Anerkennung feministischer Grundprinzipien kämpfen.

Welche strukturellen Probleme führten dazu?

Diese Gründe, warum wir uns als JG zu spät positionieren, verweisen auf dahinterliegende strukturelle Probleme. Die relevantesten wollen wir an dieser Stelle selbstkritisch transparent machen. In deren Benennung sehen wir einen ersten wichtigen Schritt, um auf sie zu reagieren und sie zu beheben.

Die Tatsache, dass Menschen der linken Szene der Gefahr von Angriffen ausgesetzt sind, bedeutet oftmals, dass die notwendige Fähigkeit zum Selbstschutz eine gewisse Übereinstimmung mit Anforderungen althergebrachter Männlichkeitsideale in sich trägt.

Damit geht auch in der JG eine Kultur der Härte einher: Die Zurschaustellung der eigenen Sicherheit durch physische Stärke wird dann von der Verdrängung von Emotionen begleitet. Das heißt, dass sich mit den psychischen Folgen eigener und fremder Erfahrungen nicht auseinandergesetzt wird und diese nicht angemessen anerkannt werden. Hierdurch wird Raum für feministische Diskurse verengt, unter anderem weil physisch dominante Männlichkeit als Ideal aufrechterhalten wird, anstatt Gegenstand von Kritik zu sein.

Besonders schlimm wird dies, wenn Bedrohungslagen gegeneinander ausgespielt werden, indem problematisches Verhalten von cis Männern (Glossar) hingenommen wird, da diese Schutz vor Neonazis zu bieten scheinen. Dabei wird ausgeblendet, dass allein Schutz vor Angriffen durch Faschos keinen sicheren Raum für alle herstellt, sondern potentielle Übergriffe durch Macker die Sicherheit eines Raumes ebenfalls bedrohen.

Diese Verbindung von Antifaschismus und Männlichkeit sehen wir eben auch in der JG. Sie offenbart auch eine Leerstelle in unserer Analyse von Faschismus: Ohne dies hier umfassend darstellen zu können ist klar, dass Faschismus und Patriarchat Hand in Hand gehen. Somit sollte die logische Konsequenz sein, dass antifaschistische Praxis sich auch immer gegen das Patriarchat richten muss.

Trotz des Anspruchs, ein Raum zu sein, in dem gesellschaftliche Hierarchien und Machtstrukturen nicht kopiert werden, passiert dies auch in der JG. So wurden und werden auf verschiedenen Ebenen patriarchale Strukturen reproduziert, weil bisher kein ausreichend kritischer Blick auf die Herstellung und Erhaltung sexistischer Machtverhältnisse gelegt wurde. Dies hat zur Folge, dass Spezial- und Herrschaftswissen (Glossar) zumeist bei cis Männern (Glossar) liegt und diesen vermittelt wurde. Dagegen wurden reproduktive Aufgaben lange Zeit ganz „selbstverständlich“, also dem sexistischen Konsens der Mehrheitsgesellschaft folgend, vor allem an FLINTA* Personen delegiert.

Was soll sich grundlegend verändern?

Aus den genannten Problemen möchten wir folgende Konsequenzen ziehen, welche uns als Grundlage für unser weiteres Handeln dienen:

Wir haben den Anspruch, die JG so zu gestalten, dass sie ein möglichst sicherer Raum für alle wird. Wir möchten unsere eigenen Strukturen und die Räume der JG so verändern, dass wir in Zukunft handlungsfähig in Hinsicht auf feministische Themen sind. Dabei begreifen wir Feminismus als wesentliches und handlungserweiterndes Aktionsfeld. Wir wollen einen feministischen Grundkonsens etablieren, damit von sexualisierter und sexueller Gewalt betroffene Menschen sich sicher sein können, dass wir auf ihrer Seite stehen. Dieser muss aber schon viel früher greifen. Um die JG tatsächlich offen für alle Menschen zu gestalten ist es notwendig, dass Mackertum und Sexismus nicht reproduziert werden. Wenn dies doch geschieht, muss diesem aus unserem politischen Verständnis heraus sofort widersprochen werden.

Damit dies Realität wird, wollen wir gemeinsam ein Bewusstsein dafür entwickeln, was ein feministischer Anspruch für unsere Praxis bedeutet: Einen offenen, sensiblen und gewaltfreien Raum, insbesondere für FLINTA* Personen zu schaffen. Sexismus, Mackertum und patriarchale Gewalt sollen in diesem verstanden, problematisiert und überwunden werden.

Dabei sehen wir vor allem cis Männer in einer klaren Verantwortung: Durch ihre Sozialisation und unauflösbare Verstricktheit ins Patriarchat sind sie selbst bei guten Absichten Teil des Problems. Wir erwarten, dass sie sich als Verbündete klar auf die Seite von betroffenen Menschen stellen. Es ist wichtig, dass sie ein Bewusstsein für ihre Privilegien entwickeln und ihr eigenes Verhalten kritisch reflektieren.

Was verändert sich momentan?

Konkrete Veränderungen, die sich bereits vollzogen haben, zeigen sich in der FLINTA* Gruppe, die es nun seit über einem Jahr gibt, um sich zu vernetzen und die JG entsprechend um- und mitzugestalten. Außerdem hat sich eine Gruppe gegründet, die sich selbstkritisch mit ihren Männlichkeiten befassen will. Auf Wunsch von FLINTA* Personen hat sie sich auch den Outcalls gewidmet und diesen Text mitverfasst. Sinn und Zweck dieser Gruppen ist auch, dass sie über sich hinaus wirken und feministischen Themen weiterhin Raum und Gehör verschaffen.

Das Verfassen, Diskutieren und gemeinsame Beschließen dieser Erklärung ist ein erster nach außen sichtbarer Schritt. Zugleich haben wir in der Auseinandersetzung erste Einigungen auf feministische Grundprinzipien erzielt.

Als nächster konkreter Schritt steht die Erarbeitung von Grundlagen eines guten und solidarischen Miteinanders und von Strategien zur Prävention von übergriffigem Verhalten an. Gleichzeitig muss klar sein, wie mit solchem Verhalten – falls es doch geschieht – umgegangen wird. Diese Prinzipien müssen von allen Mitarbeiter*innen, Nutzer*innen und Besucher*innen der JG anerkannt, respektiert und diesen handlungsleitend bewusst gemacht werden. Um dieses Ziel zu erreichen, werden sie in der Inforunde beschlossen und Grundlage aller künftigen Veranstaltungen und Aktionen in und mit der JG.

Mit diesen ersten Schritten und Maßnahmen möchten wir ein Bewusstsein für unverhandelbare feministische Prinzipien innerhalb der JG etablieren und Rahmenbedingungen schaffen, die deren Einhaltung sicherstellen. Dies sehen wir als Voraussetzung für weitere produktive politische Arbeit.

Zur Wiederholung: Bei uns haben Täter und täterschützende Personen keinen Platz

Wir nehmen die Forderungen der betroffenen Menschen ernst, Räume für sie nach ihren Ansprüchen sicher zu gestalten. Das bedeutet als praktische Konsequenz auch: Die bekannt gewordenen Täter sind in der JG nicht erwünscht. Ihr seid hier nicht willkommen. Die Inforunde, das offene Café, Veranstaltungen und Konzerte stehen euch nicht offen. Ihr seid von allem ausgeschlossen, was in und mit der JG stattfindet.

Wir dulden kein täterschützendes Verhalten. Täterschützende Personen und Strukturen sind ebenfalls ausgeschlossen.

Uns ist bewusst, dass die bekannten Fälle nicht ansatzweise das Ausmaß des Problems widerspiegeln, sondern vielmehr nur die Spitze des Eisbergs sind. Da wir die JG für alle sicher gestalten wollen, bieten wir allen betroffenen Menschen an, für die oder deren Täter die JG als Raum relevant war und/ oder ist, sich jederzeit an uns zu wenden. Ihr könnt dies persönlich machen, gerne auch über Eure U-Gruppe oder eine euch vertraute dritte Person. Das kann über die FLINTA* Gruppe geschehen, euch vertraute Personen aus der JG, über die Mitarbeiter*innen oder per Mail an unterstuetzung[at]jg-stadtmitte.de [unseren PGP-Schlüssel findet sich hier

Wir richten uns nach Euren Wünschen und Forderungen und stehen für Euch als Ansprechperson und Kontaktmöglichkeit jederzeit zur Verfügung. Wir sind bereit, Teil von Aufarbeitungsprozessen zu sein und bieten auch darüber hinaus unsere Unterstützung an. Dies kann bedeuten, dass Einzelpersonen Teil von Unterstützungs-Gruppen werden, wir Täter aus unseren eigenen Strukturen konfrontieren und von diesen kritische Aufarbeitung fordern und begleiten, und/ oder Räume für Treffen zur Verfügung stellen. Falls Ihr Euch anderes oder weiteres wünscht, bemühen wir uns nach Kräften, dies zu erfüllen.

beschlossen von der Inforunde am 26.07.2022

Glossar

FLINTA* Personen steht für: Frauen, Lesben, inter* Personen, nicht-binäre Personen, trans* Personen und agender Personen. Das Sternchen steht dabei für alle weiteren Identitäten, denen sich Personen zuordnen, drückt also die im Kürzel unvollständig dargestellte Vielfalt an geschlechtlichen Nicht_Identitäten aus.

PGP-Schlüssel: Pretty Good Privacy ist ein Verfahren, um eMails Ende-zu-Ende zu verschlüsseln. Das bedeutet, dass sie gesichert sind und nur von Empfänger*in und Absender*in gelesen werden können. Eine Anleitung dafür gibt es u.a. hier, der dafür nötige öffentliche PGP-Schlüssel findet sich auf der Homepage der JG.

Die Inforunde: ist das wöchentlich stattfindende, offene Treffen (in) der JG. 

Spezial- und Herrschaftswissen: Es handelt sich um Wissensbestände, die mit strukturellen5 Machtpositionen und Rollen verbunden sind. Dadurch, dass dieses Wissen kein Allgemeinwissen ist, trägt es zum Erhalt von Hierarchien bei. Beispiele sind etwa das Wissen um die Bedienung konkret vorhandener Technik oder um die individuell vorteilhafte Nutzung formeller und informeller Entscheidungsstrukturen.

cis Männer: bezeichnet die Gruppe von Personen, denen nach ihrer Geburt eine männliche Identität zugesprochen wurde und die sich selbst als „Mann“ bezeichnen und identifizieren.